Freak-Kultur: Richard Mackenrodt – Mein Leben davor

Ein Roman, der einen Profi-Triathleten zum Protagonisten hat und eigene Kapitel mit Wettkampferlebnissen zu Roth, dem Norseman und Hawaii beinhaltet, ist eigentlich ein gefundenes Fressen für eine Rezension in der Kategorie Freak-Kultur. Wenn dieses Werk dann auch noch auf diversen Onlineplattformen mit Bestnoten und positiven Kritiken überschüttet wird, dann sollte dem Lesevergnügen auch nichts im Weg stehen. Konjunktiv hin oder her, es kommt ja sowieso immer anders, als man denkt.

Bevor ich in das eigentliche Review einsteige, ein paar Worte vorne weg: Grundsätzlich stehe ich Kritiken und Bewertungen auf Amazon oder ähnlichen Portalen eher skeptisch gegenüber. Zu oft hat sich ein hoch gelobter Film oder ein Buch als schmerzhaft katastrophal  erwiesen und so manch niedrig bewertetes Machwerk als erstaunlich kreativ und/oder lesenswert bzw. sehenswert. Die aber durch und durch auf allen Portalen angestimmten Lobeshymnen auf diesen Roman haben mich am Ende doch ein wenig an meinem eigenen Urteilsvermögen zweifeln lassen. Daher möchte ich nochmal daran erinnern, dass diese Rezension absolut subjektiv ist und das Resultat eventuell aus einer Inkompatibilität meinerseits mit der Erwartungshaltung an aktuelle deutschsprachige Literatur herrührt.

Zum Inhalt: Alex leidet seit seinem 15 Lebensjahr an unerträglichen Kopfschmerzen, die medizinisch nicht erklärbar zu sein scheinen. Auf seiner Suche nach Linderung testet er sich durch diverse Suchtmittel (von weichen über harte Drogen bis hin zu Sex), die ihm aber alle über kurz oder lang keine Erleichterung verschaffen. Seine Exzesse führen neben einer totalen Beziehungsunfähigkeit schließlich auch zum körperlichen Totalzusammenbruch und direkt in die geschlossene Psychiatrie. Per Zufall entdeckt Alex dort den Sport und insbesondere das Laufen für sich, da er feststellt, dass das Training über die Schmerzgrenze hinaus seine dauerhaften Kopfschmerzen lindert. Dank gnadenloser Trainingsexzesse (bis zu 70 Stunden die Woche ohne Erholung…soso) entwickelt er sich in kurzer Zeit zum Spitzenathleten und wird, immer auf der Suche nach härteren körperlichen Herausforderungen, schließlich erfolgreicher Profi-Triathlet. Als aber neben den Kopfschmerzen auch noch kurzfristige Blackouts und Zusammenbrüche auftreten, kristallisiert sich schnell heraus, dass es tiefer gehende Ursachen für Alex’ Probleme geben muss.

Richard Mackenrodt, selber passionierter Triathlet, beschreibt Alex Geschichte aus der Ich-Perspektive, wenn auch nicht konsequent. Mitten im Roman wird für den Leser völlig überraschend die Erzählsituation gewechselt zu einer – so genau lässt sich das gar nicht sagen – allwissenden Ich-Perspektive (die es so eigentlich gar nicht gibt), in der der Protagonist beschreibt was zeitgleich zu seinen Erlebnissen an anderer Stelle passiert.
Die Erzählung selber ist sehr komprimiert geschrieben und wirkt eher wie eine Aneinanderreihung kurze Bestandsaufnahmen als wie persönliche Erlebnisse. Man könnte es als Blog-Stil bezeichnen, in denen eigentlich nur erzählt wird, was gerade passiert und das eigentliche Innenleben des Erzählers nur schemahaft – wenn überhaupt – angerissen wird.

Was hier gerne bei vielen Kritiken, die ich gelesen haben, als Highlight hervorgehoben wird, nämlich genau dieser Stil der kurzen, schnellen Bestandsaufnahme, ist für mich eine der entscheidenden Schwächen des Romans. Vieles bleibt genau dadurch absolut schablonenhaft und der eigentliche Charakter Alex nur eine eigenschaftslose Figur, die sich fast ausschließlich durch ihre lakonische Haltung zu dem dauerhaften Kopfschmerz definiert (“Schmerz ist mein ständiger Begleiter”). Ich habe kurze Rennberichte in Blogs gelesen, die wesentlich mehr Emotion und Spannung aufwiesen, als der Protagonist in seiner gesamten Erzählung zu vermitteln mag. Hinzu kommt dann noch das alt daher gebrachte Schema, aus dem Triathlongeschichten gezimmert werden: das geht von der Suche nach Schmerzen um ein anderes Leiden zu übertünchen, über die inzwischen obligatorische Drogenkarriere bis hin zur klischeehaften Egomanie, welche Triathleten ja gerne unterstellt wird. Von jemandem, der diesen Sport selber mit Leidenschaft betreibt und eigentlich nicht in eben diesen Klischees, aus denen amerikanische Doku-Dramen gemacht werden, herum wühlen muss, hätte ich mir deutlich mehr Tiefgang gewünscht und ob der Versuch, dem Fiktionalen durch die Erwähnung real existierender Athleten wie Lother Leder oder Thomas Hellriegel einen Bezug zur tatsächlichen Triathlonwelt zu geben gelungen ist, sei mal dahin gestellt.
Der danach noch folgende – meiner Meinung nach haarsträubende – Plot-Twist wirkt aufgrund  dessen auch sehr konstruiert und unmotiviert und Alex Verhalten nur schwer bis überhaupt nicht nachvollziehbar, da man bis auf Oberflächlichkeiten eigentlich nie Einblick in diesen Charakter erhalten hat (für den Fall, dass dieser Charakter so angelegt sein sollte, mag diese Kritik unberechtigt sein, dadurch würde der Roman aber auch nicht an Tiefgang gewinnen).
Kleiner Spoiler: wenn Ihr mit dem Thema Esoterik nichts anfangen könnt, dann lasst erst recht die Finger von diesem Buch, denn dann dürfte der bereits erwähnte Plot-Twist für Euch der Overkill sein.

Eine positive Anmerkung: Der Roman lässt sich schnell und einigermaßen flüssig lesen (was bei knapp 300 Seiten auch kein Wunder ist). Wer sich also trotz meiner Kritik (oder vielleicht gerade deswegen) an dieses Werk traut, dem kann ich versichern, dass man es auch bei Nichtgefallen bis zum Ende in ein paar Stunden durchlesen kann.

Fazit: Ich bin mit recht wenig Erwartungen an diesen Roman herangegangen, auch nach dem ich bereits einen Auszug (das Kapitel über den Norseman) vorab gelesen habe. Aber irgendwie hatte ich schon etwas mehr als eine Ansammlung an alt bekannten Klischees, oberflächlichen Betrachtungen und schablonenhaften Charakteren erwartet. Sogar als Nicht-Esoteriker hätte ich mit der Wende in der Story gut leben können, wenn es nicht so gnadenlos konstruiert und eine entsprechende Entwicklung in den Plot eingearbeitet oder wenigstens angedeutet worden wäre. Warum dieses Buch so viele grandiose Kritiken bekommen hat, bleibt mir leider ein Rätsel.

Meine Bewertung: 3 von 10 Punkten

Richard Mackenrodth: Mein Leben davor bei Amazon

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