Das Jahr, in dem nichts funktioniert

Jeder Ausdauersportler hat wohl schon davon gehört, manche haben es selbst erlebt: Das ominöse “Jahr, in dem nichts funktioniert”. Und nachdem doch schon einige meiner Desaster des ersten Halbjahres hier dokumentiert wurden, ist es nur folgerichtig, die Erkenntnis, dass ich mich genau in einem solchen Jahr befinde, ausführlich auseinander zunehmen und in diesem Rahmen einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Eventuell helfen diese Erkenntnisse durchaus dem einen oder anderen Ausdauerfreak, der sich selbst in einer solchen Situation befindet oder befunden hat oder befunden haben wird.

Eigentlich war es abzusehen: Vier Wochen Bronchitis im Januar mit zwei zusätzlichen Wochen als Bonusrunden, um die geschundenen Rippen wieder in den Griff zu bekommen. Daraus resultierend die Absage für den Frankfurter Halbmarathon, eine vergeigte Laufeinheit nach der anderen im Frühjahr, eine Pollenallergie, die sich dieses Jahr bis Anfang Juli hinzog und zur Krönung noch eine total katastrophale Kurzdistanz beim Quarterman, bei der ich es irgendwie geschafft habe, mir auf dem Rad Zerrungen in beide(!) Oberschenkel zu fahren und somit mein erstes DNF meiner Triathlon-Laufbahn hinlegen durfte.
Es wäre nur folgerichtig gewesen, wäre ich ab Juli einfach im Bett geblieben und gar nicht mehr aufgestanden. Allein der tägliche Broterwerb lässt dies natürlich nicht zu und auch der kleine innere Freak besteht darauf, dass man gefälligst weiterzumachen hat, denn dieser Zustand muss sich ja irgendwie “reparieren” lassen. Der Urlaub in Wilhelmshaven samt Teilnahme am Nordseeman war sowieso schon gebucht, und somit gab es zumindest noch ein weiteres Ziel, auf dass man irgendwie hinarbeiten konnte, wenn man im Zuge der allgemeinen Trainingskatastrophen überhaupt davon sprechen kann. Fußzehe beim Intervalltraining aufgeschlitzt (Leute, lasst bloß nie Kanten stehen beim Nägel schneiden), regelmäßige Kaspereien desrPulsfrequenz (wohl gemerkt, nur beim Laufen, nicht auf dem Rad und nicht beim Schwimmen) und ein Verlust an Geschwindigkeit von 30 Sekunden auf den Kilometer innerhalb eines Jahres. So gesehen sah dass alles recht vielversprechend aus, aber auch nur dann, wenn man Gefallen daran findet mit Begeisterung zuzuschauen, wie man mit 50 Sachen auf eine Ziegelwand zufährt.

“Was tun?” sprach nicht nur Zeus sonder war auch meine mir selbst am Häufigsten gestellte Frage. Die ernüchternde Antwort nach reiflichem Hirn zerbrechen: Nix! Eine alte Weisheit lautet: Haste Scheiße an den Füßen, dann haste Scheiße an den Füßen. Mehr trainieren half nicht, weniger trainieren auch nicht und gar nicht trainieren erst recht nicht. Wenn sich diese Erkenntnis erst einmal breit gemacht hat, weiß man, dass es wohl nicht an der Physis, sondern am Kopf liegt. Damit will ich nicht sagen, dass solche Probleme nicht auch auf körperliche Ursachen hindeuten können. Wenn aber die Leistungsfähigkeit nicht nur bei einer Sportart sondern auch zwischen den Disziplinen so extrem schwankt, man plötzlich auf dem Rad während einer Trainingsrunde Bestwerte raushaut und dann beim nächsten Versuch zu laufen frustriert nach ein paar Kilometern wieder nach Hause spaziert, dann kann man sich sehr sicher sein, dass das große Problem zwischen den Ohren liegt.
Was macht man nun mit diesem Erkenntnisgewinn? Als Erstes hakt man die Idee ab, in der Saison noch große Dinge reißen zu können und sich damit selber unter Druck zu setzen. Ihr solltet nicht dem Verlangen erliegen, bei noch mehr Wettkämpfen anzutreten um Euch zu beweisen, dass es noch irgendwie geht. Am Ende führt es nur zu mehr Frustration und setzt Euch immer weiter unter Druck, was dann wieder zu verkrampftem Training führt, was dann wieder…….usw. etc.

Wenn Ihr noch Events anstehen habt, dann setzt Euch ein realistisches und erreichbares Ziel. So war zumindest mein Ansatz: Den Nordseeman solide finishen und den Spaß am Sport wieder finden. An der Stelle sei aber angemerkt, ein solides Finish und Spaß am Sport sieht anders aus und so musste ich am Ende das Ziel korrigieren auf “Bring es nur irgend wie ins Ziel”. Um es kurz zu machen, der Nordseeman war von der Zeit her meine schlechteste Halbdistanz überhaupt, mit einem ab Kilometer 1(!) mehr gegangenem als gelaufenem Halbmarathon (aber mit persönlicher Bestzeit auf der Radstrecke – musste ja so sein) und Spaß gemacht hat bei Gegenwind von über 50 km/h und dem daraus resultierenden Wellengang so ziemlich gar nix an diesem Tag.
Aber – und dass ist das Entscheidende – ich habe es durchgezogen, auch wenn ich ab dem ersten Laufkilometer wusste, dass in der Ergebnisliste sich diesmal nur noch sehr wenige Plätze zwischen mir und dem Ende der Tabelle befinden würden. Und auch wenn meine Beine sich immer noch so anfühlen, als wären sie durch den Fleischwolf gedreht worden, so überwiegt doch die Zufriedenheit, trotz aller Widrigkeiten einen Wettkampf unter persönlichen sowie harten äußeren Bedingungen zu Ende gebracht zu haben.

Was also ist das Fazit? Das Jahr, in dem nichts funktioniert(TM) wird wohl jeden, der diesem Sport länger treu bleibt, über kurz oder lang ereilen. Sei es einfach ein Motivationsloch, seien es persönliche Ereignisse oder sei es einfach eine Verkettung unglücklicher Umstände, die dazu führen, dass der Muskel zwischen unseren Ohren verrückt spielt und nichts gelingen will. Wenn es Euch passiert, ist es vollkommen OK, davon kurzfristig frustriert zu sein. Aber versucht es zu vermeiden, dass Euch die Situation dauerhaft runter zieht. Das Wichtigste in diesem Moment ist es, wieder Spaß am Sport zu finden. Schmeißt Eure noch ausstehenden Trainingspläne für das Jahr in die Tonne und trainiert nach Lust und Laune. Setzt Euch nicht unter Druck mit irgendwelchen Großereignissen und Mega-Events (sofern es dafür noch nicht zu spät sein sollte), bei denen Ihr unbedingt “abliefern” wollt. Beendet die Saison rechtzeitig, legt eine ordentliche Pause ein, lasst mal ordentlich die Sau raus und macht dann Pläne für das kommende Jahr. Startet dann frisch in die nächste Saison-Vorbereitung und vor Allem vergesst nicht, dass Ihr nicht einfach alles verlernt habt. Da wo Ihr wart könnt Ihr auch wieder hinkommen, schließlich habt Ihr das schon einmal geschafft (natürlich abzüglich der Leistung bedingt durch den natürlichen Verfallsprozess).

Ich selbst freue mich jetzt auf einen lustigen Saisonabschluss bei meiner Lieblings-Sprintdistanz, dem 10-Freunde-Team-Triahtlon, diesmal sogar mit einem mir völlig unbekanntem Team. Danach werde ich den restlichen August ein wenig die Füße hochlegen und mir ab September Gedanken darüber machen, wie denn die Pläne für 2020 aussehen werden. Letztendlich gilt auch für uns die alte ITler-Weisheit: Reboot tut gut!

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