Ausdauer trainiert man, gefinished wird mit dem Kopf

Die Challenge Roth 2018 ist Geschichte und mit ihr meine Langdistanz-Premiere. An dieser Stelle möchte ich aber nicht irgend einen schnöden Rennbericht abliefern, denn davon kann der geneigte Ausdauerfreak in diversen Sozialen Medien und einer übermäßig großen Anzahl an Triathleten-Blogs mehr als genügend finden. Statt dessen soll an dieser Stelle ein Einblick in die mentalen und psychologischen Aspekte der Vorbereitung und des Rennens selber erfolgen, die, nach meiner nun gemachten bescheidenen Erfahrung, notwendig sind, um dieses “Vorhaben” mit halbwegs gesundem körperlichen und geistigen Zustand zu überstehen.

Heutzutage scheint es ja für fast jeden Langdistanz-Aspiranten schon zum Pflichtprogramm zu gehören, ein minutiöses Protokoll über den gesamten Vorbereitungszeitraum und jede noch so kurze Trainingseinheit in Blog-Form der Öffentlichkeit mitzuteilen. Ich muss gestehen, dass ich zeitweise versucht war, es ähnlich zu handhaben. Nicht, weil ich irgend etwas wirklich Weltbewegendes zu dieser Thematik beizutragen gehabt hätte oder ultimativ neue Trainingsansätze ausprobiert habe, nein, davon gibt es bereits mehr oder weniger Sinnvolles und noch mehr Belangloses im Netz. Viel Wichtiger wäre hier der Aspekt gewesen, den Blog-Artikel generell für mich haben, nämlich eine Art psychologisch- und mentaler Reinigung. Genau davon hat es in den 7 Monaten Vorbereitung so Einige bedurft.

Vorne Weg, all die Weisheiten die all die weisen Langdistanz-Veteranen so von sich geben haben auch alle ihre Berechtigung: wer sich für eine Langdistanz entscheidet und diese halbwegs mit Würde hinter sich bringen will, der muss sich auch aller Konsequenzen bewusst sein: Stellt sicher, dass die Familie hinter Euch steht (und zwar zu 100%), dass ihr damit klar kommt, dass Euer Sozialleben für einen gewissen Zeitraum sehr stark von Trainingsalltag angeknabbert werden wird und vor allem, dass Ihr wirklich die Nummer “Langdistanz” durchziehen wollt. Es ist egal, ob Ihr Euch einen Plan mit acht, zehn, zwölf oder mehr Wochenstunden auferlegt, das Motivationsloch kommt mit absoluter Sicherheit und dass eventuell sogar mehr als nur einmal und dann braucht Ihr diese Sicherheit, um Euch dort wieder raus zu ziehen.
Genauso werden früher oder später Zweifel kommen und dann stellt man sich die Sinnfrage mehr als nur einmal. Mir ging es gerade in den letzten Wochen der Vorbereitung so, dass es mental immer schwieriger wurde, die langen Rad-Einheiten von fünf und mehr Stunden durch zu ziehen. Nicht, weil ich nicht gerne auf dem Bike sitze oder Probleme mit langen Touren haben würden. Nein, es war einfach psychisch zehrend zu wissen, dass man die langen Touren jetzt(!) fahren und die langen Läufe jetzt(!) laufen muss(!) und nicht einfach sagen kann, dass man jetzt gerade keinen Bock hat, denn wie wir alle wissen, kann man Trainingseinheiten nicht wirklich nachholen und bei dem Umfang, den eine Langdistanz-Vorbereitung mit sich bringt, ist selbst das Verschieben um einen Tag so gut wie immer ausgeschlossen.
Kommen wir zurück zum Thema familiäre Unterstützung. Selbst wenn ihr diese habt, besteht eine ziemlich hohe Wahrscheinlichkeit, dass es früher oder später zu kleineren Konflikten kommen wird. Denn auch für die Familie ist das im ersten Anlauf absolut neues Terrain. Auch hier regelt die Erfahrung mit der Zeit, aber die muss auf beiden Seiten erstmal gemacht werden. Ich kann nur jedem empfehlen, diesbezüglich halbwegs feste Regeln für sich selbst aufzustellen, damit für beide Seiten auch Planungssicherheit herrscht und das gemeinsame Sozialleben nicht komplett auf Eis gelegt werden muss (was mit ziemlicher Sicherheit zu Reibereien führen wird). Ohne Verständnis vom Partner werde Ihr früher oder später gegen eine Wand fahren (siehe Mein Mann ist Triathlet…).
Aber dass Allerwichtigste ist: Einzig und alleine IHR (genau DU, der das ließt) könnt entscheiden, ob ihr die Aufgabe “Langdistanz” angehen wollt. Lasst Euch nicht von Trainingspartnern, Freunden, Kollegen oder wem auch immer da rein quatschen und Euch sagen, dass Ihr dass JETZT zu machen habt. Wenn Ihr schon am Anfang zweifelt, wenn es nicht komplett Eure eigene Entscheidung ist, dann habt Ihr am Ende eine ungleich größere mentale Hürde zu bewältigen, als wenn Ihr Euch sicher seid, dass ihr all das und auch in aller Konsequenz wollt. Ihr werdet genug Zweifel haben, während des Trainings, vor dem Rennen und teilweise auch noch während des Rennens, von daher macht es Euch nicht schwerer als notwendig.

Gezweifelt habe ich auch, und zwar gar nicht so wenig. Je näher die Challenge rückte, desto größer wurden diese Zweifel: War es ein Fehler, sich für die Langdistanz anzumelden, habe ich richtig trainiert, habe ich überhaupt nur ansatzweise genug trainiert, waren die langen Läufe nicht viel zu kurz, oder zu schnell oder zu langsam, habe ich genug Rad-Kilometer, etc. pp.?
Das Lesen von Trainings-Blogs oder einschlägigen Foren ist da in vielen Fällen nur bedingt hilfreich und manchmal sogar kontraproduktiv, denn wenn man sich durch all die Meinung gearbeitet hat, dann weiß man, dass man zu viel, zu wenig, zu schnell und zu langsam trainiert, also im Prinzip alles falsch gemacht hat.
Folgerichtig war mein Gedanke beim Einchecken in Roth: “Ich hole mir jetzt hier den teuersten Rucksack, den ich jemals gekauft habe, ab.”
Eigentlich hätte ich gar nicht so viel an mir zweifeln brauchen, denn es gibt genug Leute, die Langdistanzen mit deutlich weniger Training und deutlich weniger Triathlonerfahrung, als ich sie habe, gefinished haben. Alleine, dieses Wissen ändert halt nichts an der Tatsache, etwas auszuprobieren, von dem man keine Ahnung hat, wie es eigentlich genau funktioniert. Woher auch, denn wer probiert schon einfach mal eine Langdistanz und wo wäre dann noch der Sinn, dafür extra bei einem Wettkampf anzutreten.
Die größte Hürde bis zum eigentlich Startschuss ist also nicht das Training…rein physisch kann jeder halbwegs Gesunde genug trainieren, um 180 Kilometer Rad zu fahren oder einen Marathon zu laufen. Die Behauptung, jeder kann eine Langdistanz schaffen, wie sie gerne bei diversen Events propagiert wird, ist somit aus körperlicher Sicht absolut richtig.
Der Kopf ist es, der den Unterschied macht, denn es ist meiner Meinung nach viel seltener der Körper, der sich irgendwo im Training quer stellt, als viel mehr der Kopf und wenn der nicht will, dann zieht der Körper nach, stellt sich ebenso quer und reagiert dementsprechend. Und genau diese Erkenntnis ist am Ende nicht nur für das Training wichtig, sondern auch für das “Durchstehen” des Rennens.

Als jemand, der schon so einige Kurz- und Mitteldistanz-Triathlons auf dem Konto hat, war es für mich immer normal, ein solches Event im reinen Rennmodus anzugehen, also immer alles raus, was Arme und Beine für die entsprechende Distanz hergeben, denn das Rennen ist ja spätestens nach etwas mehr als 5 Stunden rum (also vom Zeitraum her ein “erweiterter Vormittag”). Das dies auf der Langdistanz nicht funktioniert, war mir selber klar, ich hatte aber nun keine Ahnung, wie man es angehen sollte, bzw. wie es denn genau funktioniert.
Es wird ja immer davor gewarnt, sich beim ersten Versucht starre Zielzeiten zu setzen, trotz Allem habe ich mir ein potenzielles Ziel mit dem Arbeitstitel “1-6-4 ” zurecht gelegt, um darauf  hinarbeiten zu können und nicht mental im zeitlosen Raum zu baumeln. Eine Stunde Schwimmen, sechs Stunden auf dem Bike und vier Stunden für den Marathon waren und sind für meine Möglichkeiten realistisch. Daraus ergab sich inklusive Wechselzeiten und Puffer ein Gesamtziel von 11:30 Stunden. Als “Stretch”-Goal – für den Fall, dass es besonders gut laufen würde – hatte ich mir noch die 10:59h zurecht gelegt, wobei mir von vornherein klar war, dass ich dazu den perfekten Tag hätte erwischen müssen und bei meinem ersten Langdistanz-Versuch keinen einzigen Fehler hätte machen dürfen.

Um es kurz zu machen, ich habe beide Zielzeiten deutlich verfehlt. Nicht, weil es für mich von den körperlichen Voraussetzungen her nicht möglich gewesen wäre, sondern einfach, weil es der Tag war, an dem ich grundlegende Dinge über das Konzept “Langdistanz” zu lernen hatte.
Bis ca. Kilometer 200 war ich nämlich absolut im Soll: 1:09h im Wasser, 6h auf dem Bike, zwei recht gute Wechsel und erschreckend frische Beine am Anfang des Marathons, die 11:30h also mehr als realistisch.
Früher oder später holt einen aber der Unterschied zu einer Kurz- oder Mitteldistanz ein (außer man hat verdammt viel Glück), nämlich die Tatsache, dass die Idee in irgend einer Form mit dem menschlichen Körper 226 km am Stück zurückzulegen ohne in irgend welche Probleme zu stolpern, absolut illusorisch
und das die eigentlich Kunst des Langdistanz-Rennens am Ende das Managen von Energiereserven und vor allem von auftretenden Problemen ist.
Auf anderen Distanzen mag man sich da noch irgendwie durchschummeln, wer das auf der Langdistanz versucht wird mit ziemlicher Sicherheit die Ziellinie nicht sehen.

Für mich war es bei Kilometer 14 auf der Laufstrecke soweit: Der Magen hat dicht gemacht, wollte kein Gel mehr bei sich behalten, normal Laufen war ab da auch nur noch schwerlich möglich und der Versuch endete dann doch im blauen Häuschen. Was mach man also, wenn man bereits 198 Kilometer hinter sich hat, noch 28 vor sich, jeder Gedanke an Energiezufuhr Übelkeit auslöst und die Aussicht die restliche Strecke wandernd zurückzulegen zu müssen einem absolut absurd erscheint? Aufgeben, Aussteigen, weiter machen? 

Was ich an diesem Tag gelernt habe war, dass mentales Krisen-Management und die Fähigkeit zu Improvisieren, sich an die Situation anzupassen, entscheidende Fähigkeiten für eine erfolgreiche Langdistanz sind. Ja, das Optimal-Ziel, war bereits nach dem Schwimmen nicht mehr erreichbar und mit den Magenproblemen waren mit ziemlicher Sicherheit auch keine 11:30h mehr drin.

 Natürlich ist es nicht schön, wenn man bereits 9:30h unterwegs ist, alles bis dahin super gelaufen ist und einem das gesetzte Ziel einfach durch die Finger, bzw. durch den Magen gleitet. Was einem aber psychisch in so einer Situation helfen kann und was auch mir geholfen hat, ist der Gedanke, dass es bis zu dieser Stelle absolut so lief, wie man wollte.

Ich habe an dieser Stelle einfach meine Optionen “durchgerechnet”, das schlimmst mögliche Szenario für ein Finish kalkuliert (die restlichen 28 km normal gehend zurückzulegen) und versucht, so weit wie möglich von diesem “Worst Case” wegzukommen. Bei der Energieversorgung habe ich etwas rumprobiert (wo rebelliert der Mage nicht) und mich dann mit Bananen, Cola und Zitronenscheiben mit Salz weiter über Wasser gehalten.
Nachdem ich also meine Ziele neu ausgerichtet,  meine Psyche etwas nachjustiert und meinen Energienachschub angepasst habe (was zwar immer noch weit von “optimal” weg war, aber mich gut über die Runden gebracht hat), ging es irgendwann auch meinem Körper wieder besser und auch wenn keine großen Sprünge mehr drin waren, war gegen Ende sogar wieder für ein paar Kilometer die geplante Marathon-Pace möglich, die mich dann immer weiter vom “Worst-Case” Szenario weggebracht hat. 

Im Ziel war ich nach 12:23 Stunden, also 53 Minuten von meiner geplanten Zielzeit weg. Es hat aber nichts daran geändert, dass ich mit dem Finish, der Performance und der wirklichen Zielzeit absolut happy war, denn ich habe aus der Situation an diesem Tag das für mich bestmögliche Ergebnis heraus geholt. Ich habe meine erste Langdistanz beendet und dass in einer Zeit, die trotz aller Probleme immer noch in einem für eine Premiere meiner Meinung nach sehr gutem Rahmen ist. Was noch möglich ist, wird die Zukunft zeigen.

Was von dem, was ich an diesem Tag gelernt habe,  kann ich Euch also mitgeben, wenn Ihr mit dem Gedanken spielt, Eure erste Langdistanz angehen zu wollen?

  • steht 100% hinter diesem Vorhaben!
  • lasst Euch von niemandem überreden, Ihr alleine entscheidet ob und wann Ihr ein solches Vorhaben angehen wollt!
  • stellt sicher, dass Eure Familie zu 100% hinter Euch steht!
  • akzeptiert, dass es in der Vorbereitung auch zu Konflikten kommen kann und wird
  • Zweifel sind normal! Akzeptiert sie und versucht konstruktiv mit ihnen umzugehen
  • Motivationslöcher sind ebenso normal. Wenn Ihr aber hinter dem Vorhaben steht, werdet Ihr diese überwinden!
  • Seid im Wettkampf mental flexibel und passt das Rennen den Problemen an, die Euch begegnen!
  • Eine Langdistanz ist in erster Linie Energie- und Problem-Managment und erst danach ein Rennen gegen die Uhr!

Zu guter Letzt noch eine kleine Anmerkung. Achim Achilles hat es zum Thema Laufen schon geschrieben: “Man kann einen Marathon laufen, muss es aber nicht und schon gar nicht, um als vollwertiger Läufer akzeptiert zu werden”.
Genau so sehe ich das mit der Langdistanz. Man kann es machen, braucht es aber nicht. Triathlet ist man genau so auf jeder anderen Distanz und wer die Langdistanz nur versucht, weil er sich nur dann als “echter” Triathlet fühlt und nicht, weil er oder sie die Langdistanz machen will, der wird recht schnell in die oben beschriebenen Probleme rennen, schwimmen oder fahren.

Habt vor Allem Spaß an der Sache (auch wenn es sich manchmal nicht so anfühlt), dann klappt es auf jeder Distanz.

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