Es gibt kein Bier mehr auf Hawaii…Nur noch Schampus

Zugegeben: als bekennender Ironman-Kritiker ist es durchaus schwierig, sich dem aktuell in wirklich allen Medien durchdiskutierten Themas der explodierenden Kosten für eine Hawaii-Teilnahme auf halbwegs neutrale Weise anzunähern. Die Tatsache, dass inzwischen sogar renommierte Profi-Athleten ihren Start auf der Insel aus Budget-Gründen in Frage stellen, beziehungsweise final absagen müssen, ist aber durchaus ein Grund, dieses eigentlich schon über die letzte Dekade totdiskutierte Thema aus der Vorhölle der polemisch-plakativen Foren-Diskussionen erneut an die Oberfläche zu holen und die Frage “Quo vadis WTC” noch einmal im Schein des leise glimmende Fegefeuers zu betrachten.

Die geschaffenen Tatsachen bezüglich Kona 2022 sollten dem geneigten Leser hinlänglich bekannt sein: Rennen an zwei Tagen, aufgeteilt nach Männlein, Weiblein und diversen Altersklassen, doppelte Athleten-Anzahl, Zimmerpreise jenseits der Uranus, genervte Hawaiianer, die eigentlich keinen Bock mehr auf Ironman haben, etc. Ebenso die Tatsache, dass diese Situation natürlich aus zwei Jahren Pandemie und den daraus resultierenden Absagen resultiert. Auch sei noch einmal erwähnt, dass die WTC beschlossen hat, das Zwei-Tages-Format genau so in den nächsten Jahren zu implementieren und in diesem Zuge zusätzlich die “Drohung” ausgesprochen hat, die Ironman-Weltmeisterschaft rotieren zu lassen.
Das Für und Wider bezüglich des Formates und der Rotation wurde in diversen Fach-Podcasts und Blogartikeln bereits mehr als hinreichend diskutiert und in fast allen dieser Beiträge war man sich am Ende über die Konsequenzen dieser Entscheidungen einig: “Da müssen wir mal schauen, wie das so wird” oder auch “Man wird sehen…”
Genau so ist auch das Thema Preisentwicklung nicht wirklich ein neuer Aufreger und auch dieses wurde ja grundlegend mit der konsensfähigen Conclusio “Solange es genug bezahlen und genügend hinfahren hat die WTC recht!” über Jahre hinweg durchdekliniert.
Können wir an dieser Stelle also die Betrachtung einstellen und uns wieder erfreulicheren Dingen widmen? Ja, könnten wir durchaus, allerdings dachte ich mir, dass es vielleicht im Zuge dieser Debatte “ganz nett” wäre, mal wieder mit dem Vorschlaghammer auf das romantisch-verklärte Weltbild  einzudreschen, dass bei einer solchen Diskussion über den Mythos Hawaii  bei sehr vielen Triathlierenden immer noch (warum eigentlich?) vorzuherrschen scheint.

Vorne weg sei das Offensichtliche gesagt: Die WTC (World Triathlon Corporation) ist KEINE Sportorganisation oder Organisation für Sportler. Es ließe sich auch vortrefflich darüber streiten, ob sie dies jemals war. Die Anhaltspunkte dafür sind vielfältig, zum Beispiel die Tatsache, dass man das Wort “Corporation” ins Deutsche am Besten mit “Konzern” übersetzt. Genau! Nicht “Organisation” oder “Vereinigung” oder etwa “Federation” – wobei ich das Kürzel WTF in diesem Zusammenhang ganz charmant finden würde -, nein! Es ist ein Konzern (doppeltes Ausrufezeichen hier)!
Überraschender Weise hat ein Konzern ein Unternehmensziel und es würde mich sehr wundern, wenn irgendwo im “Mission Statement” der WTC “die Förderung des Triathlonsports in Breite und Leistung” zu diesen Zielen gehören würde. In der Tat dürfte es sich eher so verhalten, dass das primäre Ziel des Unternehmens die Vermarktung der Marke “Ironman” bzw. derer Derivate und anderer Ausdauersport-Brands sein dürfte. Die Organisation von Sportevents ist dementsprechend auch nur eines der Werkzeuge, um dieses Ziel zu erreichen, die Vergabe von Lizenzen, Medienrechten, usw. ebenso.
Auch wer sich den  Überbau des Unternehmens anschaut, sollte nicht so richtig überrascht sein, dass es nicht wirklich um Sport oder sportliche Qualität geht. Von Providence Equity Partners verkauft zur Wanda Group verkauft zu Advance Publications. Also eine Holding, deren primäres Ziel es ist, Unternehmen zu kaufen und teurer zu verkaufen, ein chinesischer Konzern mit Fokus auf Immobilien, Luxushotels und Unterhaltung, sowie ein Multimilliarden-Medienunternehmen, zu dessen Publikationen übrigens auch Vogue und Vanity Fair zählen. So richtig viel Fantasie benötigt man nicht, um daraus herleiten zu können, dass Sport nicht so wirklich viel Bedeutung in diesen Konstrukten hat.

Eine Teilnahme auf Kona war nie günstig. Auch nicht in den 80ern oder 90er, also der Frühgeschichte unseres Sportes. Ich kann mich noch durchaus daran erinnern, das in diesem Paläolithikum des Triathlons, regelmäßig in lokalen Käseblättchen von ambitionierten Altersklassenathleten oder Semi-Pros zu lesen war, die versuchten, ihre Hawaii-Stories an den Leser zu bringen, um sich von den Zeitungen zumindest einen Teil ihres Trips um die halbe Welt finanzieren zu lassen. Die Kostentreiber damals waren nicht unbedingt die Hotels oder das Event selber, aber für diese Art von Flugreise musste man doch schon etwas tiefer in die Tasche greifen. Erschwerend kam dann noch hinzu, dass es wohl eher die Zeit der “Freaks” war und nicht der gut betuchten Ausdaueryuppies, also durchaus hoch motivierter Athleten mit eher dünnerem Geldbeutel.
Aber an dieser Stelle der Historie beginnt mit der Popularisierung dieser Sportart das Dilemma. Man entwickelt sich, aus einer Randerscheinung, wird ein Trend und mit dem Trend strömt nach und nach eine potenzielle Kundenschicht in den Markt, deren finanzieller Hintergrund ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Wer an dieser Stelle auf die Geschichte der WTC und des Ironman Hawaii schaut wird schnell feststellen, dass Idealismus und Liebe zum Sport…hmmm…sagen wir mal in überschaubarem Maße bei den Protagonisten vorhanden war und man eher von Dollar-Zeichen in den Augen geleitet wurde. Wie man zu dieser Geschichte steht muss jeder für sich selbst entscheiden. Vergessen sollte man aber definitiv nicht, dass eben genau durch diese Vorgänge der Sport Triathlon im Nachhinein überhaupt erst zu dem geworden ist, was er heute ist und wir die Möglichkeit haben, unseren Sport so auszuüben, wie wir es tun (siehe auch Stell Dir vor es ist Triathlon und keiner geht hin).

Was will uns der Autor nun mit diesem Abriss über die Ursprünge des Problems eigentlich sagen: Alles gut und immer so weiter? Die WTC macht bei Ironman alles richtig, wir machen immer so weiter und schauen mal, wer es sich am Ende noch leisten kann?
Nein, dass ist mit Sicherheit nicht so, denn die Tatsachen sprechen eine andere Sprache: Die bereits erwähnten absagenden Profis, Qualifikations-Rolldowns bis zur Fußnote, das alles ist Realität. Wir sollten uns auch von der Idee verabschieden, dass dies irgendwann einmal wieder besser wird und das Pendel in die andere Richtung (mehr Qualität, weniger Quantität) ausschlägt. Das wird nicht so ein und wer sich mit US-amerikanischer Geschäftsmentalität ein wenig auskennt, der weiß auch, dass es kein Tabu darstellt, Geschäftsmodelle einfach zu melken und dann gegen die Wand fahren zu lassen, wenn diese sich nicht mehr rentieren. In der Schublade liegt mit Sicherheit schon ein Plan B oder C. Ob dieser funktioniert oder auch nicht wird bei weitem nicht so kritisch hinterfragt, wie in der deutschen Geschäftswelt.

Die geführte Diskussion ist also nicht wirklich sinnvoll. Nicht, weil sie sowieso nichts ändert (“solange es Leute gibt, die das zahlen, …. blah”), sondern weil sie von völlig falschen Voraussetzungen ausgehen, nämlich von dem immer noch von vielen romantisierten sportlichen Mythos “Hawaii” und “Ironman Weltmeisterschaft”. Egal, wie wir es drehen und wenden, es geht nicht um ein sportliches Kräftemessen der Besten der Welt. Der Subtitel “Weltmeisterschaft” ist lediglich ein weiterer Baustein der Vermarktung, ein Stempel, den sich die WTC selber zu genau diesem Zwecke gegeben hat, denn die Weltmeisterschaft der Triathlonverbände ist bekanntlich eine andere und wurde interessanter Weise auch noch nie zusammen mit dem Ironman Hawaii ausgetragen. Aber die WTC hat das Geld, dass heißt, man kann eine wesentlich größere Show aufziehen als ITU/ETU und andere Verbände zusammen und nur darum geht es. Aus Sicht des Unternehmens sind die Profis ebenso Vermarktungswerkzeuge, das Rennen ist nur ein Teil der Verkaufsstrategie. Natürlich lebt der (gute) Profi von dieser Symbiose, denn dieser kann sich auf der anderen Seite über die Marke mit ihrer medialen Aufmerksamkeit genau so im Markt positionieren. Genau so waren auch bei den Age-Groupern in der Vergangenheit nicht immer die Besten der Besten der Besten am Start, sondern der monetäre Filter hat auch da schon zugeschlagen. Alles was man mit Sicherheit sagen konnte war, dass “eine Menge sehr guter Athleten” an der Startlinie stehen würden. Hätte man die Besten gewollt, die der Amateur-Sport hervorgebracht hat, dann hätte man zumindest auf finanziell ein wenig ausgeglichenere Szenarien geachtet oder mit den nationalen Verbänden zusammen Möglichkeiten ausgearbeitet, diese subventioniert an den Start zu bringen. Darum ging und geht es aber nicht.

Der Ironman Hawaii ist ein teures Produkt, dass an den Mann und an die Frau gebracht werden will. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die aufgeregte Diskussion darum, dass dieses Event nur noch für reiche Triathleten erreichbar ist, rührt einzig und alleine daher, dass sich viele eben die Tatsache nicht eingestehen wollen, dass es eigentlich schon fast immer nur ein Produkt eines gewinnorientierten Unternehmens war und die Qualität des Rennens Teil des Sales-Pitches.
Ist das jetzt verwerflich? Unternehmerisch natürlich nicht! Wir werfen ja BMW oder Mercedes auch nicht vor, dass sie ihre Autos nicht für alle Käuferschichten anbieten oder dass sich viele Urlauber Business-Class-Flüge nicht leisten können. Jedes Unternehmen ist verpflichtet, das für sich bestmögliche Geschäft zu machen und im Interesse der Investoren zu handeln. Dieses Interesse ist nun einmal Shareholder-Value und nicht “Wir wollen Jan Frodeno sehen.”. Wenn das der Weg zu mehr Umsatz ist, aber gerne auch dies.

Letztendlich müssen wir es halt beim Namen nennen: Es gibt keine Weltmeisterschafts-Qualifikanten, es gibt lediglich Kunden. Und diese Kunden entscheiden, ob sie das Produkt “Ironman Weltmeisterschaft” kaufen möchten inklusiver aller notwendigen Vorleistungen. Wer es am Ende gekauft hat, darf es natürlich gerne auch präsentieren. Man kauft sich seinen Benz schließlich auch nicht, um ihn dann in der Garage verrotten zu lassen.

Erübrigen sich die Diskussionen für die Zukunft? Ich persönlich würde mir wünschen, dass man den Mythos, Ironman und WTC als dass betrachtet was sie sind und die “Weltmeisterschaft” auf Hawaii nicht fortlaufen glorifiziert und mystifiziert. Für die Ursprünge mag das noch gerechtfertigt sein, von denen sind wir nun aber über 40 Jahre und sehr viel geschäftliche Evolution weit weg. Natürlich habe auch ich mir gerne die Hawaii-Nächte um die Ohren geschlagen, einfach weil aufgrund des Geschäftsmodells zumindest die besten Profis auf einem Haufen aufeinander trafen. Mit der Aufteilung des Rennens verliert aber auch mein persönliches Hawaii-Erlebnis an Attraktivität, zum einen, weil ich mir nicht zwei mal acht Stunden an zwei Nächten in Folge um die Ohren schlagen möchte, zum anderen, weil durch die Entzerrung und Aufteilung auch ein Teil des Spannugsbogens entfällt, den ein einmaliges(!) jährliches Ereignis (Hawaii-Party mit Cocktail und Big-Kahuna-Burger) mit sich gebracht hat. Letztendlich werden sich hier auch die Profis die Karten legen müssen, in wie weit diese Symbiose für den einzelnen noch sinnvoll ist.
Ob dieses Modell für die Zukunft tragfähig ist, werde die nächsten Jahre zeigen. Vielleicht wird Kona so etwas wie der Mount Everest: Jeder kann hoch, wenn man genügend Kohle hat. Vielleicht verhebt sich die WTC auch finanziell und organisatorisch (Anzeichen gab es dafür in den letzten Jahren des Öfteren) und ein anderer Veranstalter oder vielleicht sogar eine Sportorganisation macht eine “echte” WM daraus.

Wie es auch ausgeht, für mich reitet der Ironman Hawaii gerade in Anbetracht einer ganzen Generation großartiger und unterhaltsamer Profis, die demnächst alle fast gemeinsam in Rente gehen oder bereits gegangen sind, langsam in den Sonnenuntergang…

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*