Der Herr der 226 Kilometer – Die Schlacht der zwei Heere

Man kann verlässlich die Uhr und den Kalender danach stellen: pünktlichst Mitte Juli rumpelt es ordentlich in diversen, vor allem dem Triathlonsport verschriebenen Social Media Plattformen und Internet-Foren. Dem Uneingeweihten mag dieses Phänomen ein Rätsel sein, dem Kenner des hohem Triathlonwissens ist aber augenblicklich klar: Sowohl die Challenge Roth als auch die Ironman European Championships haben ihre Anmeldeportale freigeschaltet (oder zumindest angekündigt dies zu tun) und Heerscharen von Anhängern beider Lager wetzen ihre Messerspeichen, schnüren ihre Kampflaufschuhe und werfen sich in das Gefecht um jeweils ihren einen wahren Glauben zu verteidigen. Die letzte Schlacht um den Thron der einzig wahren Langdistanz Europas ist entbrannt….mal wieder…

Die Waffen, mit denen die Kontrahenten auf das virtuelle Schlachtfeld ziehen, sind jedes Mal dieselben: Abzock- und Preistreiberei-Vorwürfe werden von den Anhängern des Lord Walchshöfer gegen die Schergen des dunklen Königs Steinmetz des Ersten in Stellung gebracht, während die allgemeine “Challenge will auch nur Geld verdienen“-Abwehr Phalanx hinter den Frontlinien aufgespannt wird, um die Geschosse des Gegner daran wirkungslos abprasseln zu lassen. Der Schlachtverlauf ähnelt sich mit leichten Manövervariationen dabei jährlich: Die ersten ersten drei bis fünf Tage wird aus allen Rohren gefeuert und Nahkämpfe bis zum letzten Blutstropfen ausgefochten. Danach erlahmt so langsam die Schlacht und nur ein paar Unverbesserliche führen hier und da noch ein Scharmützel. Gegen Ende haben beide Feldherren wieder genügend Anhänger hinter sich geschart und die Ränge des jeweiligen Wettkampfes sind bis zum letzten Mann/zur letzten Frau ausgebucht. Für weitere zwölf Monate legt sich eine gespenstische Ruhe über die Schlachtfelder Frankfurts und Roths, wenn nicht gerade einer der Herrscher kurz aufbegehrt und versucht, sich bereits im Vorfeld einen Vorteil vor der nächsten Schlacht zu erarbeiten (zum Beispiel durch Terminverlegung)…

Treten wir nun ein paar Schritte zurück und schauen und das ganze mal aus der Vogelperspektive an: Letztendlich kommt jeder, der sich in die Sportart Triathlon verirrt, früher oder später mit den beiden oben genannten Parteien irgendwie in Kontakt und wird sich auch die Frage stellen, ob es sich lohnt, dort ein Event zu buchen. Beide Unternehmen bieten inzwischen ja auch eine ordentliche Fülle an Wettkampfdistanzen und Variationen von der Kurz- bis zur Langdistanz in sämtlichen geographisch interessanten und auch nicht so interessanten Gefilden an. Dass bei Anmeldung zu der ein oder anderen Langdistanz dann ein Betrag im Gegenwert einer Mallorca-Pauschalreise den Besitzer wechselt, ist hinlänglich Konsens.
Hier stellt sich dann natürlich die idealistische Frage nach dem sportlichen Charakter eines solchen Großevents. Von den Verteidigern beider Seiten werden gerne die Organisation, die Stimmung und die Atmosphäre als Argument ins Feld geführt und in der Tat lassen sich da in der Regel beide Parteien nicht lumpen. Man macht aus einer mehr oder weniger für den Zuschauer eher tristen Sportart ein Pop- und Rock-Event. Das ist natürlich auch für diese Athleten von Bedeutung, die einen Großteil ihrer Motivation genau aus diesem Umfeld ziehen und als Kunde gerne bereit ist, dafür zu zahlen.
Hier kommen wir auch schon zum entscheidenden Punkt. Sowohl die Challenge als auch der Ironman sind Wirtschaftsunternehmen, deren Ziel die Erwirtschaftung (sagt ja schon der Name, nicht wahr) von Gewinn ist, ja es wäre sogar absurd und geschäftsschädigend, wenn sie dies nicht tun würden. Den Weg, wie beide dies tun, kann und sollte man für sich aber immer kritisch hinterfragen. Wem das Geschäftsmodell des Ironman nicht zusagt oder wer es fragwürdig findet, dem ist es unbenommen, dort nicht zu melden. Gleiches gilt natürlich auf Seiten der Challenge. Diese Wahl hat jeder, genau wie die Wahl, sein Konto nicht bei einer Bank zu eröffnen, deren Geschäftsgebaren mit den eigenen moralischen Wertvorstellungen nicht übereinstimmt oder keine Flüge bei einer Airline zu buchen, die zweifelhafte Arbeitsbedingungen für ihre Angestellten vorhält. Beispiele solcher Dilemma gibt es viele.
Auch sollte man folgenden Aspekt nicht vernachlässigen: In vielen anderen professionell vermarkteten Sportarten, ist der Zuschauer der Konsument. Dieser zahlt für das Event, kauft sich Merchandising-Artikel, etc. usw…
Beim Triathlon ist der teilnehmende Agegrouper der Konsument. Er tritt zwar mit den Profis an, zahlt aber dafür, dass er selber Teil der Show ist. Selbst die Merch-Artikel kaufen wir selber in Form von teuren Fahrrädern, bestimmten Bekleidungsmarken und netten Gadgets. Es ist eine riesige Industrie, die wir mit unserer Teilnahme befeuern, ob wir es wahr haben wollen, oder nicht. Kein Profi könnte ohne uns existieren, denn ein Ironman oder eine Challenge Roth mit einem reinen Profistarterfeld wäre keine Show mehr und ließe sich nicht vermarkten.

Nennen wir das Kind beim Namen: Die großen “Wettkämpfe” sind Lifestyle-Events mit Sportcharakter, Pop- und Rock-Konzerte mit Showlaufen und viele wollen das auch so. Das ist auch vollkommen ok. Man sollte aber nicht so tun, als ob dass alles wäre, worum es bei unserem Sport geht, denn sportlich gesehen ist es völlig egal, ob die 226 km bei einem Ironman, einer Challenge oder einem “No Name”-Event bewältigt wurden (von der Schwierigkeit mal abgesehen, dass es bei dem “No Name”-Event vermutlich nicht alle zwei Kilometer Verpflegung gibt und man im Bereich Energiehaushalt wesentlich sorgfältiger arbeiten muss als bei einem All-Inclusive Trip ans Mainufer oder nach Mittelfranken).
Wer das große Brimborium drumherum nicht braucht, der zieht auch aus dem lokalen Event eines oder mehrerer Vereine seine sportliche Befriedigung, denn die Leistung ist in keinem Fall geringer nur weil einem am Ende keiner etwas mit einem Mikro ins Gesicht brüllt.
Zudem kann es einem auch die Augen öffnen, wenn bei einem solchen Wettkampf plötzlich die “Nur-Ankommer” nicht mehr vorhanden sind und man sich mit einer vermuteten guten Zeit (die bei der Challenge oder dem IM fürs erste Drittel gereicht hätte) plötzlich nur noch im letzten Viertel der Ergebnisliste wiederfindet.

Die Frage, ob wir durch unser Verhalten gegenüber den großen Veranstaltern deren Preis-/Leistungspolitik wirklich beeinflussen können ist eigentlich völlig irrelevant, denn einen Käufer für das Produkt lässt sich fast bis zu einem beliebigen Preis finden.
Wir leben in einer Zeit, in der pro Jahr mehrere hundert Amateur-Bergsteiger bis zu 60.000$ hinlegen, um sich einmal die Besteigung des Mount Everest erkaufen zu können (wohl gemerkt ohne Erfolgsgarantie). Dementsprechend wird es auch immer genügen Kandidaten geben, denen ein Ironman-Titel auch 800€, 1000€ oder auch 1500€ wert sein wird. Würde man die Slots in Roth und Hawaii nicht über First Come/First Serve bzw. Qualifikation vergeben, sondern über eine Auktion, dann wären vierstellige Startgelder schon an der Tagesordnung Hoffen wir einfach mal, dass die Verantwortlichen sich mit dieser Idee noch ein wenig Zeit lassen.
Was wir tun können, ist dafür zu sorgen, dass die Events und Wettkämpfe außerhalb der großen Unternehmen und Konzerne überleben, indem wir sie nicht ignorieren sonder auch diese durch unsere Teilnahme unterstützen (“Support your locals“). Auch ein Ost- oder Nordseeman ist es wert, bewältigt zu werden, genau wie ein Breisgau-Triathlon oder der Quarterman.

PS: Ich will an dieser Stelle noch anmerken, dass ich nicht pauschal die Teilnahme an IM oder Challenge-Events ablehne, sondern lediglich für mich entschieden habe, dass mir bestimmte Geschäftsmodelle nicht zusagen. Trotzdem kann man mich zumindest auf dem ein oder anderen Challenge-Event finden und definitiv jedes Jahr bei zwei bis drei “No-Name” Events.

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*