Stell Dir vor es ist Triathlon und keiner geht hin

Achtung: Dieser Artikel kann Spuren von Zynismus, Sarkasmus und Ironie sowie einen geringen Anteil an Polemik enthalten. Bei Unverträglichkeiten meiden Sie bitten den Konsum des nachfolgenden Textes und konsumieren sie erträglichere Inhalte.

Vorneweg: ich bin absolut kein Anhänger von “Was wäre wenn” und “Hätte-Könnte”-Theorien. Nur muss man sich ja bei längeren Rad- und Lauftrainings irgendwie die Zeit auch mental vertreiben und da bieten sich nun einmal das ein oder andere Gedankenexperimente an. Und so kam es, dass mir folgender Gedankenfetzen beim Pedalieren durch die Wetterau durchs Oberstübchen schoss: Wie würde unsere geliebte Sportart Triathlon eigentlich heute aussehen, hätte vor 41 Jahren nicht eine an sich völlig bescheuerte Idee auf Hawaii den Dreikampf innerhalb kürzester Zeit aus seinem Nischen-Dasein herausgeholt und durch die Medien an das Licht der Öffentlichkeit gezerrt?
Auch wenn diese Frage erstmal nicht sonderlich komplex erscheint, so birgt sie doch Stoff für einen Haufen Gedankenexperimente, in welchen am Ende ganze Industriezweige dem Erdboden gleichgemacht werden.

Aber fangen wir dort am, wo es sich am Besten anfangen lässt, nämlich vorne. Ich möchte an dieser Stelle nicht auf die Entstehungsgeschichte des Ironman Hawaii eingehen. Diese lässt sich bei Wikipedia sehr umfangreich nachlesen. Wichtig ist an dieser Stelle nur zu wissen, dass der Ironman nicht der erste Triathlon der Geschichte war, jedoch der erste über solch extreme Distanzen. Und wie immer wenn ein paar Menschen etwas absolut Blödsinniges tun, dauert es meistens auch nicht lange, bis diverse Medien darauf aufmerksam werden (jawoll, auch schon in vor-internetären Zeiten). Wir können wohl davon ausgehen, dass eine mehr oder weniger glückliche Kombination aus Zufall, Geschäftstüchtigkeit und am Ende wohl auch Gewinnstreben mit all seinen hässlichen Nebenwirkungen zu einer der “erfolgreichsten” und effektivsten Kommerzialisierungen in der Welt des Sport geführt haben dürften, welche bis einschließlich heute darin gipfelte, dass ein multinationales Freizeit– und Unterhaltungsunternehmen Organisator und Ausrichter von Events dieser (eigentlichen Rand-)Sportart ist.

An der Stelle wollen wir aber das “Ist” verlassen und uns dem konjunktiven Zeitstrahl annähern, dem “Was wäre gewesen wenn“. Zu diesem Zwecke werde ich meine Hörnchen aufsetzen (sogar im Aero-Design) und den Advocatus Diaboli mimen. Was wäre also, wenn Triathlon nie aus seiner Nische hervorgetreten wäre? Wenn es bis heute eine Sportart ohne die Aufmerksamkeit, die es heute aufgrund der Großevents erhält, geblieben wäre? Wenn es, wie bei vielen anderen Sportarten, nur Wettkämpfe geben würde, die von Sportvereinen organisiert werden. Wie würden diese aussehen? Wie viele Menschen würden diese Sportart ohne die Schaulauf-Bühnen / Lifestyle-Events IM und Challenge wirklich des Sports wegen betreiben?
Ich habe da eine recht genaue und gar nicht so erbauliche Vorstellung davon. Die Vereine müssten sich wohl mit genau den gleichen Problemen rumschlagen, mit denen sich kleine Sportarten auch heute rumschlagen dürften: Mangel an Helfern, mangelnde Untersützung von Kommunen, sehr kleine Teilnehmerzahlen (Ausrufezeichen), Minusbilanzen, etc. Vermutlich würden wir nur an kleinen Badeseen starten, unsere Radrunden wären 5 km Rundkurse (weil man mehr bei den Kommunen für diese seltsame Sportart einfach nicht rausgeschlagen bekommt und man nicht genug Streckenposten hat) und gelaufen würde nur noch auf irgend einem Acker, wo wir niemanden stören.
Ohne das Event-Erlebnis und das Schaulaufen würden wohl die Wenigsten diese Menge an Training auf sich nehmen und dass, was wir heute als kleine regionale Events sehen wäre wohl das obere Ende der Fahnenstange über welches im regionalen Sportteil des örtlichen Käseblatts berichtet wird.

Spinnen wir ein wenig weiter: Wie würde unsere Equipment und unsere Verpflegung aussehen? Es würde weder diese Menge an Neopren geben noch diese monströse Auswahl an Radmaterial. Ohne die Big Player (M-Dot / C-Herzchen) wäre einfach keine Kaufkraft in der Kundschaft und vermutlich bei den übrigen Athleten auch nicht das Interesse vorhanden, ein halbes Jahresgehalt in die Ausrüstung zu stecken. Wir würden wohl viel eher öfter mal “nackig”, also in Tri-Top und Badehose in den See springen und unsere Bikes wären entweder selbst modifzierte Rennräder und einige wenige würden sich wohl bei den Zeitfahrrädern der Rennradler bedienen und das Material triatlhontauglich machen. Und überhaupt, wie viele High-Tech-Tria-Suites gäbe es wohl? Das Faris-Gedächtnis-Schlüpper-Outfit wäre wohl in der breiten Masse viel öfter zu sehen (ich bekenne mich schuldig, hier ein furchtbar schlechtes Wortspiel eingebaut zu haben).
Energiegel, Riegel und Nahrungsergänzung wären wohl vorhanden, aber weder in dieser großen Auswahl  noch würde man kleine Vereinsveranstaltungen unterstützen. Wo findet man das schon heute bei kleinen Vereinssportveranstaltungen (außer der regionale Getränkehersteller hat auch solche Produkte im Portfolio)?
Und dann wäre da noch der Informationsaustausch. Wir müssten selber darüber nachdenken, wie wir unser Training planen, weil es einfach keine Magazine, Bücher und Massen an Webplattformen gäbe, bei denen man sich mit Trainingsplänen eindecken könnte. Die absurd große Menge an Triathlon-“Coaches” gäbe es auch nicht. Wir erinnern uns: Keine Kaufkraft, nicht diese Menge an Konsuminteresse und Interessenten. Fazit: Große und umsatzstarke Teile der Sportartikelindustrie wie wir sie heutzutage kennen, würden in dieser Form einfach nicht existieren.

Was also ist die Quintessenz diese Gedankenspiel? Wäre alles besser, wenn es klein geblieben wäre? Oder ist diese Sportart auf dem richtigen Weg und diese Gedanken sind nur verklärte Ideen eines “Früher-war-alles-besser-Nostalgikers”?
Weder noch. Im Endeffekt haben uns die Großen Zwei (M-Dot und Challenge) Möglichkeiten eröffnet, von denen viele andere Sportarten ohne diese mediale Präsenz nur träumen können. Auch kleine Veranstalter profitieren davon (siehe 10-Freunde-Triathlon) und auch dem ein oder anderen Sportverein dürfte es einfacher fallen, mit dem Markt Triathlon eigene Events zu organisieren (und sei es nur, dass man nicht ständig irgend einer Verwaltungsbehörde erklären muss, was man denn da genau für seltsame Dinge vor hat).
Und trotzdem sollte man sehr kritisch hinterfragen, was die Kommerzialisierung mit diesem Sport macht. Der Markt an Material ist inzwischen gigantisch und auch das letzte bisschen wird aus der Kundschaft herausgedrückt. Manche Produkte haben nicht mal eine Halbwertszeit von wenigen Wochen, bevor die nächste Version oder schon die nächsten zwei Dutzend Konkurrenzprodukte über den Markt rollen. Das Verkaufskarusell für Triathlonräder dreht sich schneller als die Kettenblätter bei 40 km/h und vermutlich gibt es inzwischen mehr Aero-Laufräder im Preisbereich über 1000€ als Haribo-Gummibärchensorten.
Seinen alternative und extremsportlersichen Reiz hat Triathlon in dieser Form schon lange verloren. Aber als Fallstudienobjekt für perfekt kapitalistische Marktstrukturen ist er durchaus tauglich.  Ich lehne mich jetzt ganz weit aus dem Fenster und behaupte einfach mal: Genau daran wird der Triathlon wie wir ihn heute kennen zugrunde gehen. Es gibt durchaus Gründe, warum die Marke Ironman einem Konzern gehört, der sein Geld in den Bereichen Immobilien, Luxushotels, Unterhaltung, Internet, Finanzen, Tourismus und Einzelhandel (Zitat aus Wikipedia) verdient. Die Kundenkreise dürften mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit recht deckungsgleich sein.

Also mal wieder alles Scheiße? Nein, bei Weitem nicht…wie Vereinsfußballer sich nicht vom Millionengeschäft Bundesliga frustrieren lassen, sollten wir das auch nicht in unserem Sport zulassen. Triathlon wird weiter bestehen und wir können weiter unseren Spaß daran haben. Wir sollten wohl aber auch damit rechnen, dass die großen Konzerne irgendwann das Interesse verlieren, die Blase der großen Showbühne platzt und dann werden nur noch wenige übrige bleiben. Und dann wird es interessant… 😉

 

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