Neustart 2022: Aus dem Keller auf 226

Drei Jahre! So lange ist es her, dass der letzte Beitrag hier veröffentlicht wurde. Natürlich stellt man sich nach so einer langen Zeit die Frage, wie man nach einem so langen Winterschlaf am besten eine solche Seite wiederbelebt. Und natürlich die Frage, ob man das überhaupt sollte, oder ob es inzwischen hier nach all der Zeit mit geschlossenem Fenster nicht nur muffig riecht, sondern es so schimmelig ist, dass man lieber alles direkt ohne Nachzusehen in den Sperrmüll kippt. Was hätte man auch die letzten drei Jahre groß beizutragen oder mitzuteilen gehabt, war die Welt doch damit beschäftigt, sich von einem Virus in einem in Schockstarre resultierenden Würgegriff halten zu lassen. Nachdem sich aber die persönliche mentale und emotionale Achterbahnfahrt nicht alleine auf die Pandemie zurückführen lässt und trotz aller Widrigkeiten und Rückschläge vor einer Woche in einer doch nicht ganz unerfolgreichen Langdistanzteilnahme gipfelte, habe ich beschlossen, auch hier einen Neustart zu versuchen.

Wie fängt man ein solch reanimatorisches Vorhaben denn nun an? Vielleicht, indem man versucht, die letzten 36 Monate hier auch einmal schriftlich aufzuarbeiten. Das Problem dabei: Mir widerstrebt es zutiefst, klischeehafte Berichte, in denen Begrifflichkeiten wie “sportliches Tief”, “Burnout”, “depressive Episoden”, und was weiß ich nicht alles, vorkommen, niederzuschreiben. Im weiten Netz der Ausdauerblog-Schreiberlinge gibt es genügenden Helden-Epen (Epi, Eposse?), in denen die Protagonisten “en detail” beschreiben, wie der Triathlon in irgend einer Form ihnen mal wieder das Leben gerettet hat…oder Schlimmeres. Von daher werde ich versuchen, diesen Teil möglichst kurz und ohne irgendwelche Klischees aufzuarbeiten. Sollte ein Leser trotzdem ein solches finden, möge er es mir gerne für meine Sammlung auf dem Postweg zuschicken.

Fangen wir also chronologisch ganz vorne an. Wie man einem der letzten Beiträge aus 2019 entnehmen kann (Das Jahr, in dem nichts funktioniert), lief es gesundheitlich nicht wirklich rund und die sportlichen Ergebnisse sahen dementsprechend desaströs aus. Auch die Geschehnisse im privaten Umfeld ließen sich für das entsprechende Jahr am Besten mit den Begrifflichkeiten “Kompliziert” bis “Desaströs” bezeichnen. Kurzum, das Päckchen, das ich bis zum Ende des Jahres zu schleppen bekam, entwickelte sich zu einem Container. Aber, und dass weiß man ja als Ausdauersportler nur zu gut, nach langen Durchhängern kommt fast immer auch irgendwann ein Aufwärtstrend (oder zumindest die Finishline). So dachte zumindest bis Anfang 2020 auch ich. Welch grandioser Irrtum.
Fast alles, was einen aus diesem Tief hätte rausholen können, wurde im März dank einer pandemischen Situation unbekannten Ausmaßes hinweggespült. Kulturelle Veranstaltungen und Sport-Events wurden reihenweise abgesagt, der lange geplante Kanada-Urlaub, welcher in gewisser Weise auch meinen persönlichen mentalen Rettungsring darstellte, musste mit inzwischen auch monetär erheblichen Verlusten storniert werden und auch die soziale Situation in diesem Lande gestaltete sich zunehmend kompliziert bis nahezu unerträglich. Anders ausgedrückt, genau die richtige Situation, um einen mental schwer angeschlagenen Kahn endgültig zum kentern zu bringen. Kurzum, 2020 war eine psychologische Grenzerfahrung, die von meiner Frau und mir verdammt viel Kraft und auch eine gehörige Portion Glück sowie weitreichende persönliche Konsequenzen forderte, um nicht in einer Totalkatastrophe zu enden. Über Sportliches braucht man für dieses Jahr nicht ein Wort zu verlieren und im nachhinein stellt sich mir beim betrachten meiner Strava-Statistik immer wieder die Frage, wie und wann ich die dort stehenden Kilometer eigentlich zusammengefahren bzw. gelaufen bin. Richtig erinnern kann ich mich daran jedenfalls nicht.

Die Aussicht, dass sich 2021 irgend etwas ändern sollte, war auch eher überschaubar positiv. Events wurden bereits ein halbes Jahr und mehr im Vorfeld abgesagt, bzw. gar nicht erst terminiert und da inzwischen das Kaufen von Veranstaltungstickets und Wettkampfanmeldungen ein selbst im vergleich zum Optionshandel an der Börse hochspekulatives Geschäft darstellten und ich bis dato genug unfreiwillige Wirtschaftshilfen geleistet hatte, bedeutete dies wohl für ein ein weiteres Jahr, keine Konzerte, kein Kino oder Theater, keine Wettkämpfe, kein irgendwas…
Zumindest als Ausdauersportler, deren Fokus auf Laufen, Radfahren und Schwimmen liegt, hatte man den winzigen Lichtblick, dass man im Gegensatz zur Hallen- und Fitnessstudio-Fraktion von Einschränkungen im Training halbwegs verschont blieb. Abgesehen natürlich von seltsamen absurden Verkehrsregeln in Schwimmbädern und Becken, übervollen Wäldern voller Spaziergänger (also echte, so im Sinne von Wanderern…nicht die anderen) und natürlich Radwege voller Neuradbesitzer ohne hinreichende Fahrpraxis. Alles in allem blieb die Situation also überschaubar erfreulich.

Was also machen, wenn man gerade einem psychischem Totaldesaster entkommen ist und wenig Aussicht darauf besteht, dass sich die verursachende Situation zum Besseren wendet? Man kann sich zum Beispiel seine eigenen sportlichen Herausforderungen schaffen und eine Lauf-Streak wollten meinen Frau und ich sowieso schon länger in Angriff nehmen. Da diese aber nicht in meine bisherigen Trainingspläne gepasst hat, war nun – so ganz ohne anstehenden Wettkampf – genau der richtige Zeitpunkt, diese anzugehen.
Was man natürlich  in so einer Situation auch machen kann ist Nachwuchs. Gesagt, getan! Das hatte auf der einen Seite zur Folge, dass die Streak meiner Frau bereits nach 3 Monaten beendet war. Auf der anderen Seite führte es natürlich zu einer erheblichen Verbesserung des mentalen Zustandes und gab einem ganz plötzlich trotz eingeschränkter Möglichkeiten wieder jede Menge zu tun und ein Ziel auf das man hin arbeiten konnte. Immerhin muss Baby-Equipment beschafft, Kurstermine gebucht und diese auch wahrgenommen werden, der Bürkokratie will genüge getan sein, etc. pp. usw.

Und auch meine Streak lief über 6 Monate stabil und endete mit einem All-Inclusive-noch-einmal-zu-Zweit-Urlaub im Sommer auf Teneriffa und einer gehörigen Portion neuer Energie und auch sportlich neuer Motivation.

Und dann stand ich plötzlich und auch etwas unerwartet vor dem Dilemma: Ein Early-Bird-Special der Challenge Almere für die Langdistanz zu einem für Markenrennen fast schon Schleuderpreis. Meine Frau sagte, als absoluter Almere-Fan wohl nicht ganz uneigennützig, “Mach!” und ich sagte…”Aber…”…und sie sagte: “MACH!”
Also machte ich, natürlich nicht, ohne dass wir uns ausführlich über die Konsequenzen “frischen Nachwuchses” kombiniert mit Langdistanztraining  unterhielten und entsprechend abstimmten. Wie in einem anderen Artikel bereits erwähnt: Wenn die Familie nicht hinter dem Vorhaben steht, dann führt das über kurz oder lang zu Problemen. An der Stelle waren wir uns einig, dass wir das mit unseren Erfahrungen aus der Vergangenheit halbwegs unfallfrei bewältigen würden. Immerhin sollte das Training erst drei Monate nach Ankunft unseres kleinen Wikingers starten und dauerhaftes Homeoffice würde die Gesamtgemengelage mit Sicherheit nicht komplizierter machen.

Aber, und das sollte ich nach all den Jahren inzwischen wissen, einfach kann ja jeder und so folgte ein weiteres Kapitel aus dem Buch “When life tries to f*** you”. Neuer Nachwuchs plus schon weiter fortgeschrittener Nachwuchs führt im allgemeinen zur Verknappung von Wohnraum und geht nicht selten mit Umzugsbemühungen in ein größeres Domizil einher. So verhielt es sich auch bei uns und was Anfang 2022 direkt nach Start meines Trainings auf uns zukommen sollte trotz minutiös geplantem und abgesichertem Plans, kann man wohl als den Supergau eines Umzuges bezeichnen, bei dem wir fast am Ende für ein paar Wochen auf der Straße gesessen hätten und meine Frau knapp dem Durchdrehen entronnen ist. Details brauchen wir an dieser Stelle nicht aufführen, es sei nur so viel angemerkt, dass ich es zwar irgendwie geschafft habe, in zwei Tagen 70(!) Umzugskisten ordnungsgemäß zu entpacken, der Trainingsumfang zwischen Februar und Ende März aber vermutlich nicht mal 20% der Vorgaben erfüllte. Beste Vorausetzungen für die zweite Langdistanz nach Roth 2018.

Was folgte war die zumindest für mich gefühlt gestümpertste (aus irgend einem Grunde scheint es tatsächlich keinen grammatikalisch anerkannten Superlativ von “gestümpert” zu geben) Vorbereitung auf einen Triathlon seitdem ich mit dieser Sportart vor über 8 Jahren begonnen habe. “Gefühlt” deshalb, weil in der Nachbetrachtung doch Einiges gar nicht so falsch und schlecht lief, wie während des Trainings gedacht. Wie 2018 auch habe versucht, mich vollständig an die vorher vereinbarten

Regeln für das familiäre Miteinander zu halten (Ausdauer trainiert man, gefinished wird mit dem Kopf) Die Realität war aber wie so oft eine andere. Es macht einfach viel mehr Spaß, mit dem kleinen Junior zu spielen, Nachwirkungen eines Umzuges können sich handwerklich und organisatorisch noch Monate nach erfolgter Entleerung des letzten Kartons hinziehen und ein Sommer mit Rekordhitze trägt auch nur bedingt zu erfolgreichen Einheiten bei. Folglich war die Anzahl meiner langen Läufe und meiner überlangen Radfahrten mit “Überschaubar” noch freundlich tituliert und je näher der September samt Renntag kam, desto größer wurden die Zweifel. Der Entschluss, das Vorhaben abzusagen stand vorher schon mehrfach im Raum und auch die gesundheitlich bedingte Absage meines Mitstreiters Tony führte nicht wirklich zu mehr Zuversicht.
Hinzu kam der organisatorische Mehraufwand, den ein “Sub 1”-Baby bei so einem Unternehmen mit sich bringt: Das Fahrrad nimmt im Auto zu viel Platz weg um auch noch das Babyquipment zu transportieren, ergo musste ein Fahrradträger inklusive Anhängerkupplung her. Ein Kinderwagen respektive Buggy für die Frau ist vor Ort wenig effizient, also wurde – wenn auch nicht zu diesem Zweck alleine – eine Kraxe angeschafft. Auch die Vor-Ort-Planung gestalten sich von der Logistik her etwas komplizierter, wobei die Challenge Almere das wohl supporter- und famlien-freundlichste Event schlechthin sein dürfte. Zumindest dieser Teil der Vorbereitung verlief halbwegs vernünftig, machte aber das Gesamtbild nicht wirklich besser.
Das Einzige, was mich in den letzten 14 Tagen vor dem Rennen noch bei der Stange hielt, war das gebetsmühlenartige Mantra, welches mein Frau mir stetig vorbetete: “Du brauchst dieses Rennen nach den letzten 2 Jahren, genau wie Du das Training die letzten Monate gebraucht hast!”
Vermutlich hatte und hat sie damit absolut recht und diese Langdistanz mit all ihrem Drum und Dran war und ist der sportliche und mentale Reset, den ich unbedingt gebraucht habe. Bis zum Tag der Challenge war mir das aber nicht so wirklich klar, da ich eher mit verzweifeln beschäftigt war.

Im Endergebnis standen wir also am 10. September bei 14°C und Regen – also beste Voraussetzungen – morgens um 6:30 Uhr auf dem Esplanada in Almere samt kleinem Wikinger in der Kraxe und warteten auf den Start. Meiner einer mit gehörigen Zweifel. Aber wenn man schon einmal vor Ort ist, dann zieht man auch durch, obwohl ich an dieser Stelle gestehen muss, mehrfach mich bei dem Gedanken ertappt zu haben, es nach dem Schwimmen einfach gut sein zu lassen und lieber einen schönen Urlaubstag mit der Familie zu verbringen.

Ich möchte hier auch überhaupt keinen umfangreichen Wettkampfbericht zum Besten geben, diese lesen sich ja sowieso immer recht ähnlich (eigentlich alles Kacke aber am Ende trotzdem geil). Der Vollständigkeit halber sei einfach nur erwähnt, dass Schwimmen und Radfahren recht positiv verliefen, ich vier Jahre nach Roth in diesen Disziplinen trotz weniger Trainingsumfänge nicht langsamer, sondern eher ein wenig schneller geworden bin und dass ich immer noch nicht rausgefunden habe, wie man dann am Ende einen ordentlichen Marathon läuft. Um es kurz zu machen: Trotz weniger Training, war ich in alle Disziplinen schneller unterwegs, selbst in meinem gewanderten Marathon. Aber anscheinend kann ich immer noch schneller wandern, als andere laufen. Und trotz längerer Strecke und einem stürmischen Radfahren, bei dem wir zweimal über 30km gegen den Wind antreten mussten (die gleiche Distanz bergan wäre nicht schlimmer gewesen), stand zu meiner absoluten Überraschung ein schnellere Zeit als in Roth auf dem Zieldisplay…wenn auch nur um eine Minute schneller, was sich bei 226 km durchaus ein wenig bizarr anfühlt.

Vielleicht wäre in einer anderen Konstellation mit einer anderen Vorbereitung deutlich mehr gegangen, vielleicht auch nicht. In der Vorbereitung auf Roth war mein Training umfangreicher und härter und ich kam aus für mich drei erfolgreichen Jahren auf Kurz- und Mitteldistanz, aber retrospektiv betrachtet haben mich viele der Einheiten damals mehr gegrillt und sich deutlich schlechter angefühlt. Diesmal war es weniger Training und eine Vorbereitung “aus dem Keller” heraus, sowohl wörtlich (mein Büro und mein “Pain-Cave” ist seit dem Umzug im Keller), als auch metaphorisch. Aber vieles hat sich deutlich besser angefühlt und weniger “Schäden” hinterlassen.

Vielleicht ist das aber auch alles egal und irrelevant. Das Finish hat sich anders angefühlt, als damals 2018 in Roth, vielleicht sogar deutlich besser. Damals war es einfach die Bestätigung, Langdistanz zu können. Diesmal war es das Gefühl, sich aus einem Loch befreit zu haben und trotz aller Widrigkeiten es doch noch zu können.

Quintessenz: Neustart geglückt. Die Challenge ist noch nicht mal eine Woche her und die Motivation ist immer noch und wieder da. Die Beine sind unruhig und in den nächsten Wochen gilt es zu überlegen, wo und wie es denn nächstes Jahr so hingeht. Wahrscheinlich wird es keine Langdistanz, vielleicht mal wieder was kürzeres und vielleicht auch noch ein paar ganz andere Herausforderungen abseits des klassischen Triathlons oder Laufens. Ideen sind mehr als genug da. Und der kleine Wikinger will natürlich auch ordentlich gecoacht werden, gerade was seine aquatischen Eigenschaften betrifft! 😉

Und wie geht es hier weiter? Nach und nach scheint sich auch unser Sport- und Wettkampfgeschehen zu normalisieren. Es wird wieder genug sportliches geben, über dass man sich seine Gedanken machen und diese hier breittreten kann. Neue Freakviews, neue Tipps for Freaks und natürlich Kontro-Versen

Neustart erfolgreich, wir lesen uns…

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