Ich muss gestehen, dass mir diverse Diskussionen, welche in letzter Zeit auf einschlägig bekannten “Szene”-Foren und auch in diversen Gruppen sozialer Medien geführt werden, doch recht sauer aufstoßen, nämlich die Diskussion, ab wann ein Langdistanz- oder auch Ironman-Finish denn auch als würdig eines eben solchen zu erachten wäre. Ins Gespräch gebracht werden dann gerne auch mal Minimal-Zeiten, die der Altersklassen-Athlet in Relation zum tatsächlich Zustands seines Verfalls (sprich zu seiner Altersklasse) zu erfüllen habe, damit er sich auch als würdiger Finisher erwiesen hat. Dies ist nicht nur traurig, sondern zeigt meiner Meinung nach ein Problem, welches sich nun langsam auch in die eigentlich bisher immer sehr familiär anmutende Triathlon-Familie einzuschleichen scheint.
Eigentlich disqualifizieren sich die Verfechter, welche die Zielzeit als Gütesiegel für die Qualität einer Rennleistung alleine betrachten, schon von vornherein, gerade in dem von uns so sehr geliebten Sport Triathlon. Wir alle wissen eigentlich, dass sich diese Zielzeiten eigentlich nur dazu eignen, eine Reihenfolge in der Ergebnisliste für diesen einen spezifischen Wettkampf zu erzeugen. Über die erbrachte Leistung sagt diese aber erst mal gar nichts.
Nehmen wir den Langstrecken-Debütanten bei einem Extrem-Event wie dem Norseman (ja, es gibt in der Tat Sportler, die bei sowas ihr Langstrecken- oder sogar Triathlon-Debüt begehen), der sich in mehr als 12 Stunden ins Ziel kämpft, den 14°C kalten Fjord durchschwommen, Zombie-Hill überlebt und am Ende auf den Gaustatoppen gerettet hat und vergleichen in zu einem der IM-Hamburg-2018-Duathleten, die ohne Wasserberührung und auf einer brettflachen Radstrecke eine Zeit unter 10 Stunden hinlegen. Beides sind am Ende Langdistanz-Finisher, aber anhand ihrer Zeiten auf die jeweilige Leistung zu schließen, sollte jedem halbwegs mit dem Sport vertrauten Athleten, Reporter, Zuschauer als der Blödsinn erscheinen, der es ist.
Von diesen Beispielen ließen sich dutzende weitere finden: Was, wenn das Wetter einem einen Strich durch die Rechnung macht? Bei der Challenge Walchsee 2017 kamen nur 50% der gemeldeten Athleten ins Ziel, der Rest trat gar nicht erst an oder gab aufgrund des desaströsen Wetters auf. An diesem Tag war die eigentliche Leistung das Finishen bei extrem harten Umständen. Darf ich als Finisher, der sich dort durch alle Widrigkeiten gekämpft hat nun einem der Mittel- oder Langdistanzhelden, welche sich dort gar nicht erst an den Start getraut haben, vorhalten, dass er oder sie vielleicht doch nicht so hart sind und den Schwanz einklemmen, sobald die Sonne nicht scheint?
Ich könnte an dieser Stelle beliebig lange damit weiter machen, Leistungen gegeneinander aufwiegen. Alleine es bringt uns dem eigentlichen Problem nicht näher. Eigentlich ist der Vorgang, welchen wir hier beobachten können, etwas, was früher oder später jeder gewachsenen Gemeinschaft, jeder etablierten Szene widerfährt: Die Elitenbildung. Es entwickeln sich immer Gruppen, die ihre Position innerhalb einer Gemeinschaft gegenüber anderen und neu dazu gekommenen abgrenzen müssen. Über die diversen Distanzen (Kurz-, Mittel-, Lang) funktioniert diese Abgrenzung nicht mehr, zu groß ist inzwischen die Gruppe, die in den Bereich Langdistanz dringt und den Besitzstand derjenigen in Gefahr bringt, die sich bis dahin dort als “Elite” fühlen durften. Da dieses Abgrenzungsmerkmal nicht mehr taugt, muss nun ein anderes her und eines davon scheint aktuell die Frage nach dem Wert des Finishs anhand einer erreichten Zeit zu sein. Diejenigen, die dort bereits “sichere” Werte stehen haben, können sich damit wieder gegen den Rest, den Pöbel, abgrenzen.
Der Läufer-Community ist das Problem ja hinreichend bekannt, denn dort wird sich all zu oft die Frage gestellt, ob ein Marathon jenseits der vier Stunden als gelaufen gilt. Auch diese Frage zeigt wieder ein ganz entscheidendes Problem, nämlich das Problem, dass viele Athleten die Leistung der anderen immer nur in absoluter Relation zu sich selbst bewerten. Das mag im Profi- und Spitzensport vielleicht sogar noch akzeptabel sein, für den gemeinen Altersklassenathleten jedoch eigentlich ziemlich daneben.
Bevor sich jetzt einige – wie es sich in der häutigen Zeit gehört – erstmal prophylaktisch empören (meistens die, die sich ertappt fühlen), möchte ich darum bitten, an dieser Stelle weiterzulesen, denn im Nachfolgenden werde ich mich zu ein paar Fallen und Fettnäpfchen äußern, in die auch ich diesbezüglich in den letzen Jahren getappt bin.
Eigentlich ist das Phänomen recht simpel erklärt. Je härter und länger wir selber trainieren, je extremer es wird, desto mehr verlieren wir die Perspektive für den Normalzustand. Gerne wird heute auch im Langdistanz-Triathlon von “Breitensport” gesprochen. Nun, ich halte diesen Begriff an dieser Stelle für ziemlich fehl am Platz. Gehen wir einfach mal davon aus, dass wir als Altersklassen-Athleten in der Langdistanz-Vorbereitung im Schnitt zwischen 12 und 18 Stunden die Woche trainieren und schauen uns dann an, was passiert, wenn wir die gleiche zeitliche Menge an Training für eine Sportart wie Tennis, Turnen, Handball, Fußball oder sogar Schwimmen annehmen. Kein Mensch würde hier noch von Breitensport sprechen. Vielleicht nicht unbedingt von Spitzensport, aber doch vom Status eines ambitionierten Amateurs.
Dieses Problem lässt sich ohne Probleme von Zeiten auf Distanzen übertragen. Egal, ob wir uns auf eine Kurz- Mittel- oder Langdistanz vorbereiten, viele von uns laufen die Woche zwischen 40 und 60 Kilometer oder sitzen bis zu 200 Kilometer auf dem Rad. Wenn uns dann ein Freund, ein Kollege oder ein Bekannter ganz stolz erzählt, dass er oder sie es geschafft haben, endlich 6 Kilometer am Stück zu laufen oder eine 40 Kilometer Radtour gemacht haben, dann erwischen wir uns (und ich schließe mich davon nicht aus) gerne mal bei dem Gedanken: “Ja ja, aber was hast Du nach dem Warm Up gemacht.” All zu gerne vergessen wir dabei, dass wir alle genau dort auch mal angefangen haben und es für 99% aller sporttreibenden Menschen der Normalzustand ist. Wir haben uns nur an irgend einer Stelle entschieden, in eine andere Richtung abzubiegen.
Gerade, wenn ich mal wieder bei einem meiner Lieblings-Jedermannrennen antrete, dem 10-Freunde Team Triathlon in Frankfurt, bei dem Neulinge und alte Hasen gemeinsam an den Start gehen, fällt mir das extrem auf. Da steht man da und hat genau diese Gruppe an Kollegen, Freunden und Bekannten um sich herum, die alle ob der Tatsache nervös sind, dass sie gleich 380 Meter Schwimmen, 18 Kilometer Radfahren und 4,2 Kilometer laufen müssen. Denen hilft es nicht, wenn man ihnen mitteilt, dass das alles Distanzen sind, die sie theoretisch auf einer Ar***-Backe bewältigen können.
Uns mag vielleicht der Aufwand aus unserer Position recht überschaubar vorkommen, aber viele dieser Sportler haben im Rahmen ihrer Möglichkeiten und aus ihrer Perspektive hart dafür trainiert. Und nur weil wir uns entschieden haben, ins Extrem zu gehen, sollten wir nicht den Blick darauf verlieren, dass auch diese Sportler, vielleicht sogar sehr hart, gearbeitet haben, um dieses Ziel zu erreichen.
Die Leistung, die sie erbracht haben, dann aufgrund eines einzelnen Faktors, wie zum Beispiel der Zeit, relativieren zu wollen, ist nicht nur grob unsportlich, sondern zeigt auch ein sehr krudes Bild von unserer Sportart.
Wer bei dem Artikel Tony Talks Turkey in die Kommentare schaut, wird ein weiteres Beispiel für das Problem der Perspektive finden. Die Beitragsschreiberin hat sich dahingehen geäußert, dass ein Ironman auch nicht unbedingt das Härteste ist und viele Ultraläufe oder Ultradistanzen härter wären. Da mag sie nicht ganz falsch liegen, aber es ist halt auch nur relativ. Wenn ich einen reinen Ultraläufer vor die Aufgabe stelle, einen Ultra-Swim zu machen (10 oder mehr Kilometer), dann stellt ihn oder sie dass genau so vor eine fast unmöglich zu bewältigende Aufgabe, wie mich ein 150 Kilometer Traillauf. Zehn oder mehr Kilometer zu schwimmen ist dagegen für mich eine recht einfache Übung. Würde sich dann der Ultraläufer durch hartes Training die Möglichkeit erarbeiten, zwei oder drei Kilometer aus seiner Perspektive in einer super Zeit zu schwimmen, wer wäre ich, ihm diese Leistung absprechen zu wollen, auch wenn sein erreichtes Ergebnis aus meiner Perspektive eigentlich sehr unterdurchschnittlich wäre.
Wir mögen unseren Sport, weil er in vielen Belangen anders ist, als viele andere. Wir treten mit Profis gemeinsam an, die sich nicht separieren, obwohl sie uns “Normalos” meistens deutlich überlegen sind, wir messen uns mit Altersklassen-Athleten aus allen Leistungsklassen, einige davon haben Distanzen absolviert, die selbst Top-Langdistanz-Finisher nie erreichen werden, andere haben Mitteldistanzen mit Zeiten nahe der Profis gefinished, werden aber niemals auf einer Langdistanz zu sehen sein, weil es für sie vielleicht unmöglich ist, 5 oder mehr Stunden am Stück auf dem Rad zu sitzen.
Leistung im Ausdauersport sollte niemals anhand einer einzeln stehenden Zahl, egal ob Kilometer oder Zeit (oder was auch immer) bewertet werden. Und wir sollten es tunlichst vermeiden, uns aufgrund einer solchen Zahl jemand anders gegenüber überlegen zu fühlen oder uns gar in die oben angesprochenen Grüppchen zu separieren. Wenn es erstmal soweit ist, dann haben wir es geschafft, dann haben wir auch unsere Sportarte(n) und alles was dazu gehört zugrunde gerichtet.
Super Kommentar